Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 18.12.2003
Aktenzeichen: 2 L 7/02
Rechtsgebiete: BauGB, GG, LSA-BauO


Vorschriften:

BauGB § 30
BauGB § 31 II
GG Art. 14 I
LSA-BauO § 90
1. Vorschriften über Dachformen und -neigungen verfolgen, auch wenn sie in einen Bebauungsplan aufgenommen worden sind, in der Regel nur im öffentlichen Interesse liegende Gestaltungsanliegen und vermitteln deshalb keinen Nachbarschutz.

2. Aus dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahme kann sich ein Nachbar nur gegen solche Abweichungen wenden, die ihn unzumutbar beeinträchtigen. Wenn dies der Fall ist, unterliegt der Beurteilung im Einzelfall.

Diese Voraussetzungen sind bei einer Garage zu verneinen, welche keine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück hat und den genehmigten Grenzabstand einhält.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 7/02

Datum: 18.12.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 1 S. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

"Ernstliche Zweifel" im Sinne dieser Vorschrift sind nicht hinreichend dargelegt. "Darlegen" bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich ein allgemeiner Hinweis; "etwas darlegen" verlangt vielmehr soviel wie "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas eingehen" (BVerwG, Beschl. v. 02.10.1961 - BVerwG VIII B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 [91]; Beschl. v. 09.03.1993 - BVerwG 3 B 105.92 -, Buchholz 310 [VwGO] § 133 [n. F.] Nr. 11).

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung möglicherweise rechtswidrig ist, die Kläger dadurch aber nicht in ihren eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) verletzt werden.

Die erteilte Baugenehmigung könnte gegen § 2 der in den Bebauungsplan aufgenommenen örtlichen Bauvorschriften verstoßen, der da lautet: "In WR 1 Gebieten sind nur Gebäude mit einer Dachneigung zwischen 23 und 38 Grad als gleichschenkliges Sattel-, Walm- oder Krüppelwalmdach oder mit höhenmäßig versetzten Pultdächern entgegengesetzter Neigung zulässig". Es kann dahinstehen, ob diese Vorschrift wirksam ist und ob die erteilte Baugenehmigung gegen diese Vorschrift verstößt.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht jedenfalls davon ausgegangen, dass diese Vorschrift weder allein noch in Verbindung mit dem Bebauungsplan nachbarschützenden Charakter hat, sondern als bloße Gestaltungsvorschrift allein im öffentlichen Interesse erlassen worden ist.

Vorschriften dieser Art begründen nicht in gleicher Weise wie etwa Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung eine "Schicksalsgemeinschaft" der Grundstückseigentümer, die es rechtfertigen könnte, dem Grundstückseigentümer die Durchsetzung des öffentlichen Baurechts auch im Verhältnis zum Nachbarn unabhängig von der tatsächlichen Beeinträchtigung zu ermöglichen.

Als Vorschriften über die Baugestaltung nach § 90 BauO-LSA dienen sie Belangen des Allgemeinwohls und nicht dem nachbarlichen Interessenausgleich. Inwiefern die von der örtlichen Bauvorschrift abweichende Dachform und -neigung nachbarliche Belange beeinträchtigen soll, legt der Zulassungsantrag nicht dar.

Im Ansatz zutreffend meinen die Kläger wohl, dass ein Verstoß auch gegen nicht nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplanes Nachbarschutz entsprechend § 31 Abs. 2 BauGB begründen kann, weil der Nachbarschutz in diesen Fällen nicht hinter dem aus § 31 Abs. 2 BauGB zurückbleiben darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 - BVerwG 4 C 8.84 -, DVBl. 1987, 476). Kommt dem aus § 31 Abs. 2 BauGB abgeleiteten Rücksichtnahmegebot drittschützende Wirkung zu, bedeutet dies jedoch nicht, dass der Nachbar jeden Verstoß gegen eine nicht nachbarschützende Vorschrift abwehren kann. Nachbarschutz kann nicht der Nachbar beanspruchen, der sich einer so nicht erwarteten, nachteiligen baulichen Entwicklung gegenübersieht, sondern nur der Nachbar, der durch ein Vorhaben unzumutbar beeinträchtigt wird. Wann dies der Fall ist, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - BVerwG 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122). Bei der Interessengewichtung spielt eine maßgebende Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich umgekehrt um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.10.1989 - BVerwG 4 C 14.87 -, BVerwGE 82, 343). Die den Beigeladenen genehmigte Garage verletzt das Gebot der Rücksichtnahme nicht, weil von einer erdrückenden Wirkung schlechterdings nicht die Rede sein kann. Das Bauvorhaben der Beigeladenen wird nicht "direkt an der Grundstücksgrenze des Antragstellers" errichtet, sondern hält nach der Baugenehmigung den erforderlichen Grenzabstand ein. Inwiefern Dachform und -neigung die Kläger beeinträchtigen können, wird nicht dargelegt.

Ende der Entscheidung

Zurück